Mittwoch, 16. September 2009
Der Watzmann rief
Nach etlichen Jahren ohne Urlaub in den Bergen sollte es in diesem Jahr endlich wieder soweit sein. Zusammen mit einem Freund sollte es in die Berchtesgadener Alpen gehen:Die Watzmannüberschreitung war das erklärte großspurige Ziel. Vorab sei gesagt: Wir sind heil zurückgekehrt - lediglich Blessuren und Blasen an Händen, Schienbeinen und Füssen zeugen von diesem Abenteuer. Und Oberschenkel, deren Muskelkater zumindest mich noch eine Weile quälten. Es war traumhaft und zumindest für mich beinahe eine Grenzerfahrung.

Tag 1:
Nach einer staubedingten langen Anreise sind wir von der Wimbachbrücke in Ramsau gemütlich aufs Watzmannhaus aufgestiegen, haben etwas gegessen, unsere Klettersteigausrüstung probeangelegt und früh und gut geschlafen. Auf der Hütte war nicht besonders viel los, da für den kommenden Tag ab dem Nachmittag heftige Gewitter gemeldet waren. So konnten wir uns in einem 10er-Lager, das wir alleine belegten ordentlich breit machen.

Tag 2:
Früh um 5 klingelte dann am nächsten Morgen der Wecker und um 5.45 Uhr sind wir ohne Kaffee aufgebrochen, da für den Nachmittag ja Gewitter gemeldet waren, der Hüttenwirt aber bei frühem Aufbruch kein Risiko sah. Zunächst ging es leicht aber steil zum ersten Gipfel des Watzmann, dem Hocheck. Die Seilsicherungen erschienen uns sinnlos. Wir waren bester Laune, als wir an der Nothütte am Hocheck ankamen. Hier legten wir unsere Ausrüstung an und riskierten einen Blick in den Steig. Gleich der Einstieg erschien mir im ersten Moment nicht machbar. Einen leicht überhängenden Felsblock mit einer tief liegenden Trittstufe galt es zu überwinden. Fest gesichert am fixen Drahtseil ging es aber doch und die leichte Angst war weg, Respekt allerdings blieb. Was folgte, war leichte, immer versicherte Kletterei - links und rechts ging es mitunter allerdings tatsächlich mehrere hundert Meter ungebremst in die Tiefe. So erreichten wir beeindruckt von Tiefblicken und unserem eigenen Können in der angegeben Zeit die Mittelspitze, gleichsam den höchsten Punkt der Überschreitung.
Von hier aus - so die Beschreibungen - solle es weniger gesichert, also schwerer und vor allem deutlich länger zur Südspitze, dem letzten Gipfel, weitergehen. Auch hier galt der Grundsatz: Körper und Geist auf "Fitness" überprüfen und nicht zuviel wollen. Nun gab es doch einige Teilstücke, die mir einiges an Konzentration und auch Kraft abverlangten, da die Seilsicherung eben fehlte und eine Unachtsamkeit mindest einen Sturz zur Folge gehabt hätte. Klettereien und Gehgelände wechselten sich munter ab und nach eineinhalb Stunden hatten wir den Gipfelaufbau der Südspitze ereicht. Der Schlussanstieg ging durch ein Band, einfach zu gehen, allerdings nur gefühlte 30 cm breit und es ging ordentlich runter. Oben angekommen, liefen mir Tränen der Rührung und des Stolzes. Ich hatte es geschafft, hatte mich an der ein oder anderen Stelle überwunden, war fast 5 Stunden in einem nicht für möglich gehaltenen Zustand höchster Konzentration. Einfach der Hammer - sowas wie eine Grenzerfahrung eben. Eine dreiviertel Stunde Pause gönnten wir uns, währenddessen zogen erste Wolken auf. Also weiter - immerhin noch knapp 1400 Höhenmeter runter. Schon bei den ersten Schritten merkte ich, dass die Überschreitung ordentlich Kraft gekostet hatte und es ging gleich steil mit leichten Klettereien bergab. Meine Oberschenkel brannten bei jedem Schritt und es passierte genau das, wovor alle Beschreibungen gewarnt hatten: Nicht die Länge der Tour unterschätzen. Und so wurde ich mit jedem Schritt unsicherer, so dass mein Freund mir an der ein oder anderen Stelle mit Hinweisen auf den nächsten sicheren Tritt zur Seite stehen musste.

Nach etwa 200 HM Abstieg, immer wieder mit leichter Kletterei, erreichten wir ein langezogenes steiles Schuttfeld, das es abzusteigen galt. Kaum Halt auf dem feinen Geröll und so dauerte es nicht lange, bis ich wegrutschte und mehrere Meter über das Geröll schlitterte. Mein Rucksack gab ausreichend Schutz und wirklich abstürzen ging auch nicht. Trotzdem hat es weh getan und mir vor allem den Rest gegeben. Von da an war jeder Schritt durchs Geröll eine Qual. Wir kamen nur noch sehr langsam vorwärts, selbst die Gruppen, die zwei Stunden nach uns aufgestiegen waren, hatten uns längst überholt. Irgendwann wurde es ebener und ging durch Wiesen, nur um kurz drauf wieder steil durch ausgewaschene rutschige Sandrinnen abzufallen. Hier fing es dann auch an zu tröpfeln und erste Rinnsale liefen durch die Rinnen. So hatte wir wenigstens etwas mehr Halt.
Ca. 100 Höhenmeter vor Erreichen des Tals ging das Gewitter richtig los und es goss wie aus Kübeln. Jetzt hieß es Beeilung, denn es war klar, dass die Rinnen schnell zu Sturzbächen werden würden. Wir erreichten das Tal, einen ausgetrockneten Seegrund mit Schutt und Geröll, das allerdings auch schon zu einem Bach geworden war. Der ausgewiesene Weg mitten durch war somit nicht mehr gehbar und wir mussten weglos durch dichte Latschenkiefern. Und waren nach 12 Stunden endlich und klatschnass an der Hütte. Schnäpse mit zwei anderen Jungs ließen uns runterkommen - einer trug den Namen "Dampfhammer" und wirkte auch so. Der Hüttenwirt verweigerte die Ausgabe eines dritten Glases und tat sicher gut daran.

Tag 3:
Da der selbe Hüttenwirt über Nacht vergessen hatte, die Heizung des Trockenraums anzustellen, waren unsere Schuhe am nächsten Morgen noch immer tropfnass. Nach kürzer Überlegung und Information über die nächste Tagesetappe entschieden wir uns, in den Teva-Sandalen zu gehen, um unsere eh schon beblasten Füße nicht vollends zu ruinieren. Das ging auch leidlich gut und wir erreichten nach fünf Stunden schon um kurz nach 14 Uhr das Ingolstädter Haus. Wegen des des trüben nasskalten Wetters war dort schon ordentlich was los, eine Stunde später hatten wir zwei Plätze an einem Tisch im alten, gemütlichen Gastraum mit Hallensern und Leipzigern (sic!) gefunden und wieder kurze Zeit später wurde Mäxchen mit Schnaps (Verlierer zahlt) gespielt. Auch an den anderen Tischen wurden verschiedenste Trinkspielchen gespielt und so schaukelte sich der gesamte Gastraum in ein gewaltiges Schnaps-Massaker hoch, dem auch die attraktive Hüttenwirtin irgendwann nicht mehr widerstehen konnte und immer wieder mit Tabletts voller Enziankräuter, Marillenbrände, Obstler und Williams Birnen aufs Haus aufschlug. Ihren Schnitt hatte sie da längst gemacht. Um 22.30 deutlich nach der offiziellen Hüttenruhe war dann Schluss und wir wankten ins Lager, wo mir auffiel, dass ich vergessen hatte, mein Lager mit meinem Schlafsack als belegt zu markieren. Die insgesamt sechs Plätze hatten fünf ältere Herrschaften freundschaftlich aufgeteilt und ich hätte sie alle wecken müssen, um meinen Platz zu bekommen. Mir blieb also nichts anderes, als zu warten, ob die zwei weiteren bisher freien Lager leer blieben oder von einem der Gastraum-Schnapsdrosseln belegt war. Um ca. 23 Uhr entschied ich, dass wohl keiner mehr kommt. Und es kam auch keiner mehr.

Tag 4:
Verkatert ging es am nächsten Tag bei wieder sonnigstem Wetter dann auf die letzte Tagesetappe durchs Steinerne Meer via Riemannhaus zum Kärlinger Haus. Seltsamerweise erreichten wir das schon knapp zwei Stunden früher als geplant. Erst da wurde uns klar, dass wir die Gehzeit andersrum ermittelt haben, also im Aufstieg. Und da der Schnapsabend unsere Barmittel deutlich reduziert hatte und die Aussicht auf einen langen Nachmittag auf der Hüttenterasse und Trockenobst auch nicht besonders verlockend war, entschieden wir nach kurzer Überlegung "schnell" noch zum Königsee runter zu rennen und mit der letzten Fähre zum Auto zurückzukehren und dann noch nach Kassel zurückzufahren. Spitzenidee, das! Ankunft in Kassel um halb fünf nachts. Duschen, pennen, Ende.

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